
Multiple Sklerose: Symptome und Ursachen
Multiple Sklerose (MS) ist eine neurologische Autoimmunerkrankung, bei der die Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark als fehlgeleitete Reaktion des Körpers angegriffen werden. Betroffene leiden zum Beispiel unter Lähmungserscheinungen und Koordinations- oder Empfindungsstörungen. Typische MS-Symptome sind außerdem chronische Müdigkeit und Erschöpfung, Sehstörungen sowie Konzentrationsprobleme. Meist treten die Beschwerden schubförmig auf.
Die Ursachen von MS sind nicht genau bekannt. Wahrscheinlich begünstigen mehrere Risikofaktoren die Entstehung – wie Infektionen mit Viren, Vitamin-D-Mangel, Rauchen und Übergewicht. Zudem haben Forscher festgestellt, dass eine gestörte Darmflora das Risiko erhöht. Die MS-Forschung untersucht daher derzeit, ob man mit nützlichen Darmbakterien (Probiotika), Ballaststoffen wie resistenter Stärke und kurzkettigen Fettsäuren wieder eine gesunde Darmflora aufbauen kann, um die Symptome von Multipler Sklerose zu lindern. Diese Erkenntnisse könnten zu neuen Behandlungsmöglichkeiten bei MS führen.
MS-Darmprobleme: Welche Rolle spielen kurzkettige Fettsäuren?
Übersichtsstudien zeigen, dass bei MS-Patienten ein Ungleichgewicht der Darmbakterien herrscht (Dysbiose). Auch sind kurzkettige Fettsäuren im Stuhl und Blut vermindert. Diese Stoffwechsel-Endprodukte entstehen im gesunden Darm, wenn Darmbakterien Nahrungsbestandteile zersetzen. Die wichtigsten kurzkettigen Fettsäuren sind Buttersäure (Butyrat), Essigsäure (Acetat) und Propionsäure (Propionat). Sie erreichen über den Darm auch das Blut. In einer Beobachtungsstudie waren die Blutwerte für Buttersäure und Propionsäure bei MS-Patienten etwa ein Drittel niedriger als bei Gesunden.
Kurzkettige Fettsäuren sind wichtig für die Darmgesundheit. Sie säuern den Darminhalt an, sodass sich krankmachende Bakterien und Pilze schlechter vermehren. Daneben liefern sie den Zellen der Dickdarmschleimhaut Energie und stärken die Darmbarriere. Dann gelangen weniger Fremdstoffe und Krankheitserreger über den Darm in das Blut. Buttersäure wirkt zum Beispiel antientzündlich, was bei MS nützlich sein könnte, da bei Betroffenen eine chronische Entzündung herrscht. Außerdem nützen kurzkettige Fettsäuren dem Nervensystem und Gehirn: Sie schützen Nervenzellen und unterstützen ihre Regeneration.
MS: Immunsystem mit Propionsäure regulieren
Vor allem die kurzkettige Fettsäure Propionsäure ist bei MS-Patienten verringert. Das haben Forscher zum Anlass genommen, um die Einnahme von Propionsäure bei MS in einer Vorstudie zu testen. Nach zwei Wochen regulierte sich das Verhältnis der Immunzellen: Die Anzahl der entzündlichen Zellen sank und die der regulierenden Zellen nahm zu. Tatsächlich verbesserten sich damit die MS-Symptome und die Anzahl der Schübe nahm bei einigen Betroffenen ab. Hochwertige Studien müssen jedoch die ersten Erfahrungen bestätigen.
Propionsäure könnte außerdem bei Multipler Sklerose gegen Knochenschwund (Osteoporose) helfen. Osteoporose ist eine der häufigsten Begleiterkrankungen von MS. Die Einnahme von Propionsäure führte nach zwei Wochen zum Anstieg von Knochenmarkern, die auf eine verstärkte Knochenbildung und einen verringerten Knochenabbau hinweisen. Auch diese Ergebnisse müssen allerdings erst durch größere Studien überprüft werden.
Ernährung bei MS – mit Lebensmitteln Propionsäure erhöhen
Generell könnte eine entzündungshemmende Ernährung bei MS helfen, die Propionsäure im Darm zu erhöhen: Betroffene sollten dazu viel Gemüse, Obst sowie Vollkornprodukte zu sich nehmen. Die darin enthaltenen Ballaststoffe begünstigen die Produktion von Propionsäure im Darm. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt täglich mindestens 30 Gramm Ballaststoffe. Außerdem liefern einige Lebensmittel direkt kurzkettige Fettsäuren – zum Beispiel Kuhmilch und daraus hergestellte Lebensmittel wie Butter und Käse (vor allem Emmentaler).
Sind Nahrungsergänzungsmittel bei MS sinnvoll?
Die Einnahme von Ballaststoff-Präparaten wird bei Multipler Sklerose in einer aktuell laufenden Studie getestet. Noch liegen keine Ergebnisse vor. Dennoch dürfte die Einnahme von Ballaststoff-Präparaten sinnvoll sein – vor allem, wenn die Empfehlung von 30 Gramm über die Ernährung nicht erreicht wird. Pro Tag eignen sich zum Beispiel 10 bis 25 Gramm lösliche Ballaststoffe wie resistente Stärke oder Flohsamen. Um den Darm an die Menge zu gewöhnen, sollte die Dosierung langsam gesteigert werden. Wichtig ist außerdem, ausreichend zu trinken – mindestens 1,5 Liter Wasser täglich. Nur dann können die Ballaststoffe ihre Wirkung entfalten.
Man kann zudem direkt kurzkettige Fettsäuren in Form von Präparaten ergänzen. In ersten Studien waren 1.000 Milligramm Propionsäure pro Tag verteilt auf zwei Portionen wirksam. Die Einnahme von Präparaten mit kurzkettigen Fettsäuren sollte allerdings mit einem Mikronährstoff-Experten abgesprochen werden. Für eine Empfehlung von Propionsäure in der standardmäßigen Therapie fehlen bislang noch hochwertige Studien.
Tipp
Ballaststoffe kombiniert man idealerweise mit Probiotika. Bakterien des Stamms „Bacteroidetes“ regen wahrscheinlich die Bildung von Propionsäure an. Da aber insgesamt noch nicht geklärt ist, welche Bakterien die kurzkettigen Fettsäuren erhöhen, ist eine Kombination verschiedener Bakterienstämme sinnvoller – zum Beispiel Laktobazillen und Bifidobakterien in einer Dosierung von 10 Milliarden Keimen pro Tag.
Verzeichnis der Studien und Quellen
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